Berliner Luft auf der Kerwe
Harthausen: Klaus Hammer erinnert im Tabakschuppen an Otto Reutter
Von Ellen Korelus-Bruder
Lieder eines ganz Großen der guten alten Zeit hatten Sänger und Liedermacher Klaus Hammer und Pianist Clemens Kuhn gestern aus Neupotz in den restlos gefüllten Tabakschuppen gebracht. Mit ihrer Otto-Reuttert-Matinee haben die Künstler ihr Publikum restlos begeistert.
Als Singer-Songwriter und Comedian würde Otto Reutter heute die Bühne erobern, denn aktuell sind die Texte des 1870 geborenen und 61 Jahre später gestorbenen Volkssängers, Aushilfsdichters und Humoristen noch immer. Klaus Hammer hat gestern bei der Kerwematinee des Kultur- und Heimatvereins jeden Anflug von Schellack-Staub auf den musikalischen Klassikern verhindert und dennoch der Zeit, in denen sie geschrieben wurden, viel Raum gegeben. Für die Berliner Lieder nahm der Sänger so manche Schweißperle unter seinem Zylinder in Kauf. Er würzte das Programm mit vergnüglichen Anekdoten über Reutter, der demnach Tausende in seine Konzerte gelockt und bereits 1908 monatlich 15.000,– Mark verdient hat. Sein gesamtes Vermögen habe er dann im Ersten Weltkrieg verloren, rückte Hammer das Bild vom kleinen Mann wieder gerade.
Lieder zum Lachen und Weinen präsentierte das außergewöhnliche Duo, das die Zuhörer melodisch und kleidertechnisch mit zurück zum Anfang des 20. Jahrhunderts nahm. „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, war eine der augenzwinkernden Lebensweisheiten Reutters.
Mit Frauen habe der zweimal verheiratete Musiker seine Probleme gehabt, erklärte Hammer das Bekenntnis zu Gitarre und Mundharmonika: „Ich habe zu viel Angst vor meiner Frau“. Vor lauter Furcht esse er sogar die Gräten des ungeliebten Kabeljaus. Zuvor hatte Hammer ein typisches Reutter-Kompliment zum Besten gegeben: „Frauen altern nicht, sie werden reifer.“
Dass der Geschlechterkampf schon Generationen seit Jahrhunderten bewegt, zeigte sich im musikalisch verewigten tagesfüllenden „Blusenkauf“, der den Mann das Leben kostet und die Frau folgerichtig zum schwarzen Modell greifen lässt.
Scheinbar mit Leichtigkeit gelang Hammer der Spagat zwischen gestern und heute. Ohne Reutter zu kopieren, ohne auch nur im Ansatz zu „berlinern“, trug er die sorgsam ausgewählten Chansons und ‚Balladen mit dem jeweils idealen Maß Melancholie, Ironie oder Heiterkeit vor. Hammers Stimme – wie gemacht für die Lieder seines Vorbilds – passte in die Zeit, von der er sang oder passte sich ihr unmerklich an. Perfekt auf den Punkt genau begleitete Kuhn den Sänger am Klavier, und ließ zur Freude der Zuhörer hin und wieder ein paar Schlagertakte dazwischen klingen. Sein Schlussakkord endete immer exakt mit Hammers letztem Ton, den er wie Otto Reutter „Auch nur wegen der Leut“ sang.
Selbst der Tod blieb gestern im Tabakschuppen kein Tabu: „Bevor zu sterbst“, hielt Hammer noch überraschende Ratschläge nach Noten bereit: In sauberer Kleidung und bequemer Lage sei er nach Abbestellung von Milchmann und Bäcker zu erwarten, am besten vor weiblicher Erwiderung im Ehestreit oder – „Das schönste Ende: „Lach Dich tot.“
Den Damen riet Hammer: „Nehmen Se´nen Alten“, bevor es ganz still wurde im Tabakschuppen, als er Reutters Trauer um den im Krieg gefallenen Sohn zu Tränen rührend besang. Für den „Überzieher“-Klassiker erhielten die Musiker die volle Unterstützung des Publikums. Die Zugabe „In 50 Jahren ist alles vorbei“ war zu guter Letzt weit über den Tabakschuppen hinaus zu hören.
Rheinpfalz, 10.08.2013